Alle Stories über Estland

Wir sind dabei: Das Ticket nach Tallinn 2014 - Elo Tammsalu führt den Aachener Chor „Aix Muusika“ zum Sängerfest

Alle fünf Jahre wiederholt sich eines der größten und spektakulärsten Musikereignisse Europas: das estnische Sängerfest in Tallinn. 2014 nimmt erstmals ein Aachener Chor daran teil: Die Chorgemeinschaft „Aix Muusika“ meisterte das anspruchsvolle Bewerbungsverfahren mit Bravour.

Es ist geschafft: Elo Tammsalu und der Chor „Aix Muusika“ stehen vom 4. bis 6. Juli 2014 unter der riesigen Musikmuschel auf dem Tallinner Sängerfestfeld. Sie singen gemeinsam mit rund 25.000 Sängern auf der weltbekannten Bühne am Rande der Ostsee. Schätzungsweise 75.000 Zuschauer werden täglich zu diesem nationalen Großereignis erwartet. Singen ist in Estland „Nationalsport“. Festdirigenten wie Neeme Järvi oder Hirvo Surva sind bei uns nur einem Fachpublikum bekannt, werden dort aber fast wie Helden verehrt. Unter dem Motto „Aja puudutus – Puudutuse aeg“ (Berührt von der Zeit – Zeit der Berührung) inszenieren sie gemeinsam ein imposantes und zugleich heiteres Fest. Mit seiner großen emotionalen Kraft bringt das Sängerfest die Seele des kleinen baltischen Volkes zum Klingen.

Die Bewerbung
Viel zu viele wollen dann auf der Bühne dabei sein: Doch „nur“ 25.000 Sängerinnen und Sänger sind 2014 zugelassen. Hunderte estnische Chöre bereiten sich ein Jahr lang diszipliniert auf das Vorsingen bei den landesweiten Ausscheidungen vor. Alle müssen bis zum Stichtag zwei vorgegebene Lieder perfekt vortragen. Aber die Esten bleiben dabei nicht ganz unter sich: Aus dem Ausland werden drei Chöre je Kategorie zugelassen: drei gemischte Chöre, drei Kinderchöre, drei Frauenchöre... Sie nehmen per CD-Aufnahme an dem Wettbewerb teil. Gesungen wird von allen natürlich auf estnisch!

Aix Muusika...
Für dieses ambitionierte Projekt hat Elo Tammsalu den Chor „Aix Muusika“ aus mehreren ihrer Aachener Chöre um sich gesammelt. Die Sängerinnen und Sänger musizieren unter ihrer Leitung normalerweise beim Chor ACcanto oder in den Kirchenchören Heilig-Kreuz und Cordial. Mehrere Monate hat der Projektchor die beiden Bewerbungsstücke geprobt und schließlich mitgeschnitten. Dann hieß es: Warten. Elo Tammsalu: „Ehrlich, niemand hatte damit gerechnet, dass wir wirklich eingeladen werden. Es ist einfach so schwer!“ Und doch, Mitte Oktober durfte Elo per E-Mail verkünden: „Hallo!!! Und HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH! Wir sind zum Sängerfest zugelassen!!!“ Aix Muusika hat es also doch gelöst: Das Ticket nach Tallinn 2014.

 ...oder der Chor der weißen Raben
„Wir sind echt stolz", strahlt die Chorleiterin. „Als deutsche Bewerber sind wir für die Esten außergewöhnlich, vor allem für die Jury. Wir sind sozusagen «weiße Raben». So was wie uns gibt es doch gar nicht. Da hört die Jury ganz genau hin, ob auch wirklich jeder Ton sitzt." Und in der Tat, sie wurde überzeugt und entschied sich für die Aachener. Doch nicht wegen des schillernden Gefieders, sondern wegen der hohen gesanglichen Qualität.

„Denn bei Musik geht es ja nicht nur darum, die Töne zu treffen.“ Die ausgebildete Opernsängerin und Konzertpianistin weiß, wovon sie spricht.  „Berührend ist doch erst die Interpretation von Text und Komposition. Und dazu muss man in diesem Fall auch der estnischen Sprache nachspüren und die Intention der Stücke fühlen können. Dazu muss man selbst schon diese Sprache beherrschen.“

Die Teilnahme in Tallinn  ist auch für Elo Tammsalu der Lohn langer und harter Arbeit. Als Dirigentin und Sängerin kehrt sie im Juli in ihre Heimat zurück, auf den Olymp der estnischen Musik. Sie wird begleitet von einem ausdrucksstarken Chor ihrer Wahlheimat Aachen: «Aix Muusika».

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Die singende Revolution

Estland, das Land am Baltischen Meer war über Jahrhunderte ein Spielball anderer Mächte. Erst kamen die Dänen, dann 1356 der Deutsche Orden, später die Schweden und die Polen, dann die Russen, die Deutschen, wieder die Russen, wieder die Deutschen und schließlich blieben die Sowjetrussen.

Über die Jahrhunderte hinweg hielt sich eine deutsche Minderheit in Estland, die einen Teil der bürgerlichen Oberschicht bildete. Aus der Zeit der Deutsch-Balten stammen auch die ersten Liedertafeln und Chöre, die ab 1828 entstanden und deutsches Liedgut sangen, weil estnische Musik bis dahin nicht schriftlich festgehalten wurde. Es gehört zu den Verdiensten von Cyrillus Kreek, dass diese Volksweisen gesammelt und als Ausdruck eigener estnischer Kultur dokumentiert wurden.

Der Komponist Kreek konnte nicht ahnen, welche Bedeutung diese Lieder einmal in der Geschichte seines Volkes spielen würden. Sie wurden in den 1980er Jahren zum versteckten Widerstand gegen die russischen Besatzer. Obwohl das Singen nationalistischer Lieder – und dazu gehörten Volksweisen - streng verboten war, versammelten sich Tausende Esten während der Perestroika regelmäßig auf öffentlichen Plätzen und in Stadien, um gemeinsam zu singen.

Ihr Protest ist als „Singende Revolution“ in die Geschichte eingegangen und führte 1991 tatsächlich zur Unabhängigkeit des Landes. Damals haben die Esten mit ihrem Chorgesang
auf dem Sängerfestgelände der Hauptstadt friedlich gegen ihre russischen Besatzer demonstriert. Der Gesang wurde zum Ausdruck eines estnischen Nationalbewusstseins.

Estnische Chormusik wurde mittlerweile von der UNESCO als immaterielles Kulturerbe anerkannt und in die Liste des Erbes der Menschheit aufgenommen. Und Tallinn, die mittelalterliche Hansestadt am finnischen Meerbusen, rückte 2011 ins Rampenlicht als Kulturhauptstadt Europas.

In einem Video über diese Singende Revolution, das man im Internet sehen kann, heißt es:
Es gibt Revolutionen, die erzählen von Hass. Es gibt Revolutionen, die erzählen von Rache. Aber es gibt eine, die erzählt von der Hoffnung.
Und wie hält man die Hoffnung am Leben, wenn alles verloren ist? Mit Musik!

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EESTI – Zwischen Vaterland und Fremdherrschaft

MU ISAMAA, MU ÔNN JA RÔÔM...“  Mein Vaterland, mein Glück und meine Freude, wie schön bist du. ..
Sie sagen es selbst, die offiziellen estnischen Touristen-Infos: „Die estnische Sprache ist zum Erlernen ein Albtraum.“ Aber dafür sprechen die meisten Leute, mit denen man als Tourist vor Ort zu tun hat, gut Englisch und oft auch Deutsch, Finnisch, Russisch oder Schwedisch.

Kein Wunder bei der Nähe zu den Nachbarländern: Tallinn ist durch Fähren mit Finnland und Schweden verbunden, gemeinsame Grenzen hat es mit Lettland und Russland. Kirchen, Strassen über 1.000 Herrenhäuser und Schlösser bezeugen noch heute die Besatzungs-Herrschaft von Deutschen, Schweden und Russen.

Alles begann um 800 n. Chr. mit Schlachtzügen und Überfällen der Wikinger rund um die Ostsee. Dann blieb das nördlichste Land im Baltikum über Jahrhunderte Spielball fremder Mächte. Darunter waren 700 Jahre lang die Deutschen. Deutschbalten sind auch die Erbauer der meisten Kirchen im Land. Bis zum 19. Jahrhundert kümmerte sie sich als einzige um die  Bildung der ländlichen Bevölkerung. Seit dem 16. Jahrhundert wurde Estland vorherrschend evangelisch-lutherisch geprägt und es findet sich bis heute kaum ein Dorf ohne kleine Kirche in seiner Mitte.

Estland ist etwas kleiner als Niedersachsen und besteht zur Hälfte aus Wald. Kein Wunder also, dass Holzerzeugnisse neben Maschinenbau und Chemie zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen gehören. Dabei ist die Birke weit verbreitet, sie taucht deshalb auch oft in den Liedern und Gedichten Estlands auf. Eine wichtige Rolle spielt auch der Tourismus, der neben einer Hauptstadt zwischen Mittelalter und Moderne auch unberührte Natur und rund 1.500 Inseln zu bieten hat.

Von den 1,339 Millionen Einwohnern Estlands leben etwa 400.000 in der Hauptstadt Tallinn, die nicht nur wegen ihrer besonderen architektonischen Reize 2011 Kulturhauptstadt Europas war. Diesen Titel erhält eine Stadt nicht allein für das, was sie ist, sondern hauptsächlich wegen des vorgesehenen Programms für ein außergewöhnliches Jahr. In Tallinn stand es unter dem Motto „Geschichten am Meer“.

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Land und Leute

Estnisch gehört zur finno-ugrischen Sprachfamilie, zu der neben Finnisch auch Ungarisch zählt. Sie unterscheiden sich von den indo-europäischen Sprachen so wie Englisch von Türkisch. Sprachliche Eselsbrücken sind da eher selten zu finden.

Daher sollte man für alle Fälle ein paar nützliche Ausdrücke parat haben:

Tere! – Hallo!
Aitäh! – Danke!
Palun! – Bitte
Kus on… – Wo ist…
Kui palju… - Wie viel…
Üks kohv, palun – (Ich hätte gern) einen Kaffee bitte

Eingängiger als die Sprache ist für uns die estnische Küche. Da die Region im Laufe der Geschichte von Dänen, Deutschen, Schweden, Polen und Russen regiert wurde,  zeigt sich das auch in der estnischen Küche. So gehören zu den traditionellen Gerichten marinierter Aal, Blutwurst und Sauerkrauteintopf. Beliebte Speisen sind auch Hackfleischsauce (“hakklihakaste”), Eintöpfe aus Kohl, Sülze und im Ofen gebackene Kartoffeln mit Schweinefleisch.

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Die Geschichte Estlands

9000 v. Chr. Nach der Eiszeit lassen sich die estnischen Vorfahren entlang der Ostseeküste nieder.
800-1200 n. Chr.  Schlachtzüge und Überfälle durch Wikinger rund um die Ostsee, unter anderem durch estnische Wikinger. ...
1030 Der warägische Großfürst von Kiew, Jaroslaw der Weise, nimmt Tarbatu ein und gründet die Stadt Juryev, die heute Tartu heißt. Juryev wurde wieder aufgebaut und 1061 von Esten zerstört, die die russische Stadt Pleskau angriffen.
1187 Einwohner der größten estnischen Insel Saaremaa plündern und zerstören Sigtuna, die damalige Hauptstadt von Schweden.
1208 - 1227 Estland wird von fremden Mächten besetzt und anschließend zum Christentum bekehrt. Deutschen und Dänen bestimmen das Geschehen. Die Deutschen üben in den nächsten 700 Jahren großen Einfluss aus und gehören zum Landadel.
1523 Reformation, Estnisch wird zum ersten Mal in der Liturgie verwendet. Das erste estnische Buch erscheint im Jahre1525.
1558-1582 Livländischer Krieg auf dem heutigen Gebiet von Estland und Lettland.
Er wurde von Russland gegen die Verbündeten aus Polen-Norwegen, Litauen, Dänemark und Schweden um die Vorherrschaft im Baltikum geführt.
1561 Die Kontrolle über Estland geht nach Schweden. Dadurch wird das sogenannte "Schwedische Goldene Zeitalter“  in Estland eingeläutet.
1632 Gründung der Universität von Tartu durch den schwedischen König Gustav II. Adolf.
1700-1721 Großer Nordischer Krieg um die Vorherrschaft an der Ostsee. Eine Nord-Allianz aus Russland, Dänemark-Norwegen, Polen-Litauen und Sachsen griff das Schwedische Reich an. Der Krieg endete mit einer verheerenden Niederlage für Schweden im Jahre 1721, und Russland stieg zur neuen Großmacht an der Ostsee auf. Den Krieg haben schätzungsweise nur 100 000 Esten überlebt.
1816 In Estland wird die Leibeigenschaft abgeschafft.
1860-1885 Das nationale Bewusstsein der Esten steigt. Doch der Zar versucht eigenständige Entwicklungen durch eine Russifizierungskampagne zu ersticken.
1869 Als Teil der nationalen Bewegung für die Unabhängigkeit Estlands findet das erste Sängerfest in Tartu statt.
1905 Revolution in Russland.
1918 Deutschland  besetzt im Februar Estland.
November 1918 – Januar 1920 Esten drängen im Unabhängigkeitskrieg vor allem auf mehr Autonomie gegenüber dem russischen Reich. Aber nach der Weigerung Russlands erklärt Estland die Unabhängigkeit. Danach drängen estnische Kräfte mit Unterstützung von Großbritannien deutsche und sowjetische Armeen aus dem Land.
Februar 1920  der Vertrag von Tartu. Mit dem Vertrag zwischen der Russischen SFSR und Estland wurde die Unabhängigkeit Estlands anerkannt. ...
1939 Hitler und Stalin spalten Europa in Einflusssphären – die baltischen Staaten werden den Sowjets überlassen.
1940 Die UdSSR gliedert Estland ein.
1941 Am 14. Juni Massendeportationen von Esten durch die Geheimpolizei NKWD, der besonders die Elite zum Opfer fällt.
1941 - 1944 Deutsche Besatzung.
1949 Zweite Massendeportation von Esten durch die Sowjets.
1987 Erster offener Protest gegen die sowjetische Herrschaft während der so genannten "Phosphor-Kriege". Die  Demonstrationen richten sich gegen die sowjetischen Pläne für den Tagebau von Phosphor in Estland.
1988 Beschluss des Obersten Sowjets über die Souveränität Estlands. Es entsteht eine neue Volksfront für die Unabhängigkeit, genannt die „Singende Revolution“. Während der friedlichen Demonstrationen stimmen Hunderttausende traditionelle Volkslieder an.
August 1989 Über eine Länge von 600 Kilometern, von Tallinn über Riga nach Vilnius, bilden am 23. August 1989, zwei Millionen Menschen eine Kette, um für die Unabhängigkeit der baltischen Staaten zu demonstrieren (Baltische Kette).
1990 Beschluss des Obersten Sowjets zum stufenweisen Übergang der Unabhängigkeit Estlands.
1991 Im Januar entsendet die UdSSR militärische und paramilitärische Truppen in die Balitischen Staaten.
August 1991 Zusammenbruch des Staatsstreichs in der UdSSR. Mit dem Zusammenbruch der Autorität Moskaus wird der Traum von der Wiederherstellung der Unabhängigkeit buchstäblich über Nacht wahr. ...
2004 Am 29. März wird Estland in die NATO aufgenommen. Es ist das erste Mal in der Geschichte Estlands, dass das Land einem Militärbündnis freiwillig beitritt.
2004 Am 1. Mai tritt Estland der Europäischen Union bei. ...
2006 Toomas Hendrik Ilves wird zum Präsident der Republik Estland gewählt. ...

Quelle: http://www.visitestonia.com/de/uber-estland/kulturerbe/estnische-geschichte

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Die Geschichte von der Schöpfung

Hoch droben im Himmel lebte der Großvater. In seinem Haus strahlte die erhabene Sonne. Großvater hatte tapfere Helden geschaffen, um ihren Rat, ihr Können und ihre Kraft zu nutzen. Vanemuine war der älteste von ihnen. Großvater hatte ihn schon alt geschaffen, mit grauen Haaren und Bart, und hatte ihm auch die Weisheit des Alters gegeben. Aber Vanemuines Herz war jung und er besaß die Gabe des Dichtens und Singens. Großvater nutzte gerne seinen weisen Rat, und immer
wenn Sorgen sich wie Wolken auf sein Antlitz legten, spielte Vanemuine für ihn auf seiner wunderbaren Harfe und sang dazu Großvaters Lieblingslieder.

Der andere Held war Ilmarine, er war gerade im richtigen Mannesalter, voll in seiner Manneskraft, Lebensweisheit stand auf seiner Stirn und Bedachtsamkeit in seinem Blick. Er hatte die Gabe der darstellenden Kunst. Der dritte im Bunde war Lämmeküne, ein emsiger junger Mann, die pure Lebenslust, immer fröhlich und für jeden Spaß zu haben. Dann gab es
noch ein paar andere, wie Vibuane – den mächtigen Bogenschützen – aber sie taten sich weniger hervor. Sie waren untereinander wie Brüder und Großvater nannte sie alle auch „seine Kinder“. Sie lebten an einem Ort namens Kaleva oder Kaljuve also „Felsenwasser“ oder Kaljuvald also „felsenfester Mut“.

Eines Tages trat Großvater zu den Helden und sagte: „In meiner unendlichen Weisheit habe ich beschlossen, die Welt zu erschaffen.“ Erstaunt sahen die Helden ihn an und erwiderten:„ Was du in deiner Weisheit entschieden hast, kann nicht falsch sein.“ Und als sie schliefen, schuf er die Welt, und als sie erwachten, rieben sie sich die Augen und bestaunten sein Werk. Großvater war müde von seinem Schöpfungsakt und legte sich hin um auszuruhen. Da nahm Ilmarine ein Stück von seinem besten Stahl und schmiedete daraus ein Gewölbe, legte es wie ein Zelt über die neu geschaffene Welt und befestigte daran silberne Sterne und einen Mond. Aus Großvaters Vorhalle nahm er die Sonne als Quelle des Lichts und befestigte auch sie mit einem wundersamen Gerät am Zelt, so dass das Licht von alleine auf und nieder geht.


Voll Freude darüber griff Vanemuine zur Harfe, stimmte ein Loblied an und sprang auf die Erde. Die Singvögel folgten ihm, und wo immer sein tanzender Fuß den Boden berührte, sprossen Blumen hervor, und wo er auf einem Stein sitzend sang, wuchsen Bäume empor. Da setzten sich die Singvögel auf deren Äste und haben mit ihm zusammen gesungen. Lämmeküne fegte fröhlich durch die Wälder und über die Berge und Vibuane probierte derweil seinen Bogen aus.
Von dem Lärm wurde Großvater geweckt und er wunderte sich, dass die Welt so anders geworden war. Er sagte zu den Helden: „ So ist es gut, Kinder, ich habe die Welt geschaffen; eure Sache ist es, sie zu gestalten und schön zu machen. Bald besiedle ich die Welt auch noch mit Tieren aller Art und schaffe dann die Menschen, denen ich die Welt anvertrauen
will. Die Menschen werde ich aber nicht zu stark machen, damit sie nicht mit ihrer Kraft prahlen können, und ihr müsst mit ihnen Freundschaft schließen und euch mit ihnen mischen. So soll ein Geschlecht entstehen, das sich dem Bösen nicht so leicht unterwirft. Das Böse will ich aber nicht zerstören, weil es das Maß der Güte und deren Triebfeder ist.
All das ereignete sich am Anfang der Welt.
Friedrich Robert Faehlmann, übersetzt aus dem Estnischen

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Zwischen Musik und Mystik

Wie gesagt: Elos Ansagen sind klar. Auch wenn es mal nicht um Musik geht. „Wer meine Heimat kennenlernen will, darf nicht nur in Tallinn bleiben.“ Darum stürzt sich die ganze Truppe mit dem Adrenalin des Auftritts ins nächste Abenteuer.
Stein- und Sandstrand, Hochmoore und Urwälder, das alles findet sie im „Land der Buchten“, dem Laheema-Nationalpark im Norden von Tallinn. Und 17 große Seen. Typisch für Estland, dass vieles im Land eine mystische Seite hat. Der Legende nach kamen z. B. die Bewohner von Altja unter einem riesigen Stein zur Welt, der als Findling vor der Küste im Meer liegt. Abenteuerlich sind nicht nur die Legenden und Geschichten, die sich um diese märchenhafte Region ranken, sondern auch das Fischerdorf Vinistu, dem Unterschlupf der Schnaps-Schmuggler, die ihre Geschäfte in Finnland machten. Doch von Laheema aus segelten in alter Zeit auch die Wagemutigsten über alle sieben Meere.

Ganz so weit braucht der Chor nicht, um nach Muhu und Saaremaa zu kommen. Muhu ist die drittgrößte Insel Estlands und gehört mit der Nachbarinsel Saaremaa zum Biosphären-Reservat der Unesco. Bei dem 1970 gegründeten Programm geht es nicht nur um Umwelt- oder Klimaschutz, sondern um die Entwicklung und Erforschung der Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Leuchttürme, Windmühlen, Bauerhöfe und Schafe geben ein idyllisches und friedliches Bild. Hier auf Muhu gibt es die schönsten und buntesten Trachten von Estland. Unerwartet für die dörfliche Kulisse: Auf Muhu wurde 1534 auch das erste Buch in estnischer Sprache gedruckt. Raten Sie mal welches. Na, das meistgedruckte der Welt natürlich.

Aber Muhu und der Sund waren einst auch heiß umkämpftes und strategisch wichtiges Gebiet im Baltikum, denn hier fand 1917 die letzte Schlacht zwischen der deutschen und der russischen Marine statt. Doch in der Jahrhunderte langen Unterdrückung durch fremde Herren hat auf Muhu der Volksglaube an die magische Kraft der Natur überlebt. Schamanen und Heilriten sind hier bis heute gelebte Tradition, darum gilt Muhu auch als die „mystische Insel Estlands.“


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Das Lied des Vanemuine

Die Menschen und die Tiere haben eigene Sprachen. Aber auch heute noch gibt es weise Menschen, die die Sprache der Tiere verstehen und ihren Gesprächen zuhören können. Die Sprache war ursprünglich nur für den Alltag, für die täglichen Bedürfnisse des Lebens gemacht. Eines Tages wurden alle Tiere zu einer Versammlung gerufen, auf der sie die Sprache der Feste erlernen sollten, nämlich den Gesang, um zu frohlocken und die Götter zu preisen.

Alle die Odem hatten, kamen also auf dem Toomberg zusammen, wo ein heiliger Hain wuchs. Da erhob sich in der Luft ein herzergreifendes Rauschen und  Vanemuine, der Gott des Gesanges, stieg hinab auf die Erde. Er ordnete seine zerzausten Haare und seine Kleidung,  glättete den Bart, räusperte sich und berührte die Saiten seiner Harfe. Dann spielte er das Vorspiel und schließlich einen Lobgesang, der alle Zuhörer ergriff, ihn selber aber am allermeisten.

Alles schwieg und lauschte aufmerksam seinem  Gesang. Sogar Emajôgi, der durch Tartu fließt, stoppte seinen Strom, der Wind vergaß seine Eile, der Wald, die Tiere und die Vögel lauschten aufmerksam und selbst die schielende Waldfee lugte neugierig zwischen den Bäumen hervor. Aber nicht alle, die dabei waren, haben alles verstanden. 


Die Bäume des Hains haben sich nur das Rauschen im Abstieg des Gottes gemerkt.
Wenn ihr also in den heiligen Hain geht und das festliche Rauschen hört, dann sollt ihr wissen: Gott ist nah.
Der Fluss Emajôgi merkte sich das Rascheln der Kleider und immer, wenn er sich im Frühling über seine neue Jugend freut, ahmt er dieses göttliche Rascheln nach.
Dem Wind sind die durchdringendsten Stimmen hängen geblieben; manchen Tieren das Knacken der Harfen-Wirbel, den anderen das Klingen der Saiten.
Die Singvögel haben sich Vanemuines Vorspiel gemerkt, besonders die Nachtigall und die Lerche.
Am schlimmsten war es mit den Fischen bestellt: sie streckten zwar den Kopf bis zu den Augen aus dem Wasser, vergaßen aber die Ohren im Wasser; sie sahen daher nur die Bewegung des Mundes und machten sie nach, blieben dabei aber stumm.
Nur der Mensch hat alles verstanden und deswegen dringt sein Gesang bis in die Tiefen des Herzens und bis hinauf zu den Thronen der Götter.
Und der alte Vanemuine sang von der Größe des Himmels und der Pracht der Erde, von der Schönheit der Emajôgi-Ufer und ihrem unberührten Zauber, vom Glück und Unglück des Menschengeschlechts.
Und er war so ergriffen von seinem eigenen Gesang, dass er heiße Tränen vergoss, die durch seine sechs Überröcke und sieben Hemden drangen.
Und dann flog er in die Wohnung des Großvaters, um auch dort zu singen und zu spielen.
Dem eingeweihten Ohr ist es gegeben, von Zeit zu Zeit diese entfernten Klänge aus höchster Höhe zu hören.
Damit die Menschen den Gesang nicht vergessen, schickt Großvater seinen Boten auch jetzt noch manchmal auf die Erde. Auch er selbst wird einmal zurückkommen, wenn das Auge des Glücks wieder einmal auf diese Wiesen fällt.

Friedrich Robert Faehlmann, übersetzt aus dem Estnischen

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